Page 12 - 77. Rundbrief
P. 12

12
Fast greifbar in der Luft lag die Konsternation über die „Frechheit“ des Bundesgerichts, sich in eine Domäne einzumischen, in welcher jahrzehntelang die Bundesämter zusammen mit der Stromlobby das alleinige, unangefochtene Bestimmungsrecht hatten.
Für eine saubere Auslegung der Trümmer sorgte der supraneutrale Dr. jur. Michael Merker, Lehrbeauftragter der UNI St.Gallen, Sozius von Binder Industrieanwälten in Baden und Inhaber einer eigenen Beraterfirma für Energiekonzerne. Viel Brauchbares blieb nicht mehr übrig, um die Entourage der Strombarone über ihre Riesenblamage hinwegzutrösten. Wie etwa: Das Urteil Riniken sei nicht prinzipiell für andere Leitungen anwendbar, da die Verkabelungsstrecke nur 1km lang sei.
Die Eingriffe in Boden seien zu wenig geprüft worden. Und es handle sich lediglich um einen Versuch, Erfahrung in Sachen Bodenverkabelung zu sammeln. Das Urteil sei noch modifikationsbedürftig.
Mit einem wahren Feuerwerk von Fakten hielt der ebenfalls eingeladene Gutachter der Beschwerdeführenden, Prof. Dr. Ing. Heiner Brakelmann von der UNI Duisburg- Essen, ein überzeugendes Plädoyer für eine Bodenverkabelung im Höchstspannungsnetz.
Mit der Aufzählung von mehreren in Europa bereits verkabelten Strecken von der 20- fachen Länge, wurden Merkers Argumente pulverisiert. Zudem verwies Brakelmann in seinem Referat öfters auf die neuartigen Untertunnelungsmöglichkeiten mittels kleinen Tunnelbohrmaschinen, die im hydraulischen Pressvorschub bis in 10 Meter Tiefe unter kritischen Gebieten sozusagen hindurch geschoben werden. Ein Verfahren, das erst noch billiger zu stehen kommt, als das Ausheben von Kabelgräben.
Einen überzeugenden Preisvergleich musste auch Merker eingestehen. Der Gesamtkostenfaktor beträgt je nach Verlegungsart für Bodenkabel nur das 0.66- bis 1.83-fache einer Freileitung und die Ausfallsicherheit auf 100km ist mit einer Bodenverkabelung 7.3 mal besser.
Die grösste Sorge der Referenten der Strom-Lobby war, dass sämtliche Mehrkosten, die durch eine Boden-Verkabelung entstehen auf den Strompreis angerechnet werden dürfen. Dies wurde vom Referenten der Regulierungsbehörde ELCOM auch zugesagt, sofern die Verkabelung auf einem rechtsgültigen Urteil beruhe.
Hier sei die Frage erlaubt, ob die Stromlieferanten auch zu einer Reduktion des Strompreises Hand bieten würden, wenn die Verkabelung plötzlich billiger als eine Freileitung wird. Siehe oben.
Weil das Bundesgericht im Grundsatzurteil Riniken in seiner Begründung die enormen Strom-Transportverluste auf Freileitungen anführte, die mit Bodenkabeln 3- 4mal geringer ausfallen, sollen die Stromnetzbetreiber jetzt gemäss Votum von ETH- Professor Fröhlich, die neuen Freileitungsprojekte nicht nur mit einer Doppelverseilung, sondern mit einer Viererverseilung pro Phase ausführen. Was wegen der höheren Gewichte zu grösseren Seildurchhängen und somit zu 15% höheren Masten führt. So 92m statt „nur“ 80m.
Alternative Konfliktlösungen seien dringend zu prüfen, sagte die Referentin des Eidg. Starkstrominspektorates, Lic. Jur. Viviane Keller.
Sie schlägt dringend Mediationen mit Anwohnern und Einsprechern vor, sonst hätten wir bald ein Stuttgart 21.























































































   10   11   12   13   14