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Gigaherz.ch
114. Rundbrief
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 Weihnachtsgeschichte 2020
Samichlaus fällt wegen Corona aus – Dafür kommt der Fichen-Fritz zurück. Statt „Oh du Fröhliche“ oder „Stille Nacht“, singen wir heuer wieder „Fischers Fritz macht friche Fichen, frische Fichen macht Fischers Fritz.“
von Hans-U. Jakob (Gigaherz.ch),
Da haben wir ihn doch 1990 aus dem
Land gejagt. Jetzt ist er zurück. Voll di-
gitalisiert und fleissiger denn je.
Die jüngeren Leser mögen sich kaum
mehr oder überhaupt nicht daran er-
innern, was 1989 passiert ist. Als im Bundeshaus zu Bern ein Archiv von
fast einer Million Fichen (Karteikarten)
durch Zufall ans Tageslicht kamen. An-
gelegt von einer munteren Schar über-
eifriger Staatsschützer, die sich tief im Hintergrund, auf Grund der damaligen
Hysterie des Kalten Krieges selbständig gemacht und über das ganze Land ein Nachrichtendienstnetz von ungeahnter Dichte errichtet hatten. Auf jedem Kantonspolizeiposten gab es einen vaterländisch gesinnten Polizisten, der neben
Schwarzenburg, 24. Dezember 2020
Beliebte Opfer waren die Kämpferinnen und Kämper für Frauenrechte oder sozi- ale Gerechtigkeit. Noch beliebter waren die AKW-Gegner, gefolgt von andern Umweltschützern, wie etwa den War- nern vor zu viel Elektrosmog. Damals gab es zwar noch keinen Mobilfunk. Die grössten Dreckschleudern bestan- den damals aus den Mittelwellen- und Kurzwellen-Radiosendern oder aus den riesigen analogen TV-Sendern auf den Bergrücken.
Da gab es die kuriosesten Einträge.
Etwa die Folgenden: Wenn sich der örtliche Polizist beklagte, er habe nicht beobachten können, wer al- les an der Sitzung der «Freien» teilgenommen habe,
 normaler Polizeiarbeit als Staats- schutzbeauftragter funktionierte und jede Woche dem kantonalen Polizeikommando einen Rapport über Non-konforme Bürgerin- nen und Bürger abliefern musste. Nach einer ersten Triage wurden dann diese «Meldungen» über Leute, welche die staatliche Ord- nung irgendwie zu verbessern ge- dachten, nach «Bern» gemeldet.
Beliebte Opfer waren die Kämpferinnen und Kämper für Frauenrechte oder soziale Gerechtigkeit.
Noch beliebter waren die AKW-Gegner, gefolgt von andern Umweltschützern, wie etwa den Warnern vor zu viel Elektrosmog.
da die Leiter zu kurz gewesen sei, um einen Blick durchs Fens- ter im Sääli des Restaurants B werfen zu können.
Oder die «Grünen» würden jetzt ihre Sitzungen sogar in entlegenen Höfen abhalten und es gebe jeweils gefährliche Konflikte mit den Hofhunden. Abgesehen von den Spuren im Schnee, die er auf der Flucht vor einem solchen hinterlassen habe.
Zu komischen Situationen kam es etwa dann, wenn eine lini- entreue, aber dafür umso ge- schwätzigere Nachbarin beauf-
Jeder dieser örtlichen Vater-
landssschützer hatte dann wie-
derum seine Spitzel und Zuträger
in den örtlichen Vereinen, welche
für ihn die Ohren offen hielten.
Besonders fruchtbare Böden dazu fanden sich na- turgemäss in den Schützengesellschaften. Wo jeder der seiner obligatorischen Schiesspflicht nur mit Widerwillen nachkam oder sich über ein schlechtes Resultat an Trefferpunkten überhaupt nicht ärgern oder gar schämen wollte, prompt einen Eintrag auf einer Fiche einhandelte.
tragt wurde, alle Autonummern zu notieren, die auf deinem Parkplatz vor dem Haus stehen würden. Gesammelt wurde schlichtweg alles, was irgendwie nicht ins Schema passte. Etwa wie Zitat: «Er trinkt abends gerne ein Bier»
Item, die Sache flog auf, es gab eine parlamentari- sche Untersuchungskommission und die 700’000 Fichierten konnten ihre Fichen im Bundeshaus ab- holen. Die Enttäuschung war allerdings gross, als man feststellen musste, dass sämtliche Namen von Denunzianten geschwärzt worden waren. Oder
Alle öffentlich geäusserten Ansichten, die etwas links der Mitte lagen, hatten gute Chancen auf einer der 990’000 Karteikarten eingetragen zu werden. Natürlich mit den üblichen Verdrehungen und Aus- schmückungen.































































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