Page 6 - 88.Rundbrief
P. 6

Gigaherz.ch 88. Rundbrief Seite 6
Sao Paulo verabschiedet sich von den ICNIRP-Grenzwerten
Die fünftgrösste Stadt der Welt mit über 11 Millionen Einwohnern setzt die Grenzwerte für niederfrequente Magnetfelder, ausgehend von Hochspannungsleitungen
von 200 auf 1 Mikrotesla zurück
von Hans-U. Jakob, Schwarzenburg, 10. Mai 2014
nach einer Meldung von Frau Dr. Adilza Condessa Dode, Belo Horizonte (Brasilien)
 Um Hochspannungsleitungen mitten durch dicht besiedelte Gebiete und aus Kostengründen sogar direkt über die Hausdächer führen zu können, hat der private Verein, welcher sich Internationa- le Kommission zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung (ICNIRP) nennt, in seinen Richtlinien, den sogenannten LF-Guidelines vom 25.11.2010, die Grenzwerte für niederfrequente Magnetfelder für die Allgemeinbevölkerung von 100 auf 200Mi- krotesla heraufgesetzt.
Im Gegensatz dazu reduzierte die internationale Krebsagentur der WHO, die IARC, an ihrer Kon- ferenz vom Juni 2001 solche Magnetfelder ab 0.4Mikrotesla und höher auf Stufe 2B, das heisst Krebsentstehung möglich 1), also 500mal tiefer als die ICNIRP (!). Wer die ICNIRP ist, lesen Sie am bes- ten unter www.gigaherz.ch/1665.
Bisher wurden die Schweizer Behörden wegen den Grenzwerten von „nur“ 1 Mikrotesla, die seit dem Februar 2000 rechtsverbindlich sind, von andern Industrienationen, von industriegesponsorten Wissenschaftlern und von der Industrie selbst be- schimpft und unter Druck gesetzt. Nun erreichte uns am 5. Mai 2014 folgende erfreuliche Meldung aus Brasilien: Der Entscheid des TRIBUNAL DE JU- STICA DE SAO PAULO bestimmt, dass das Niveau der elektromagnetischen Verschmutzung, hervor- gerufen durch Hochspannungsleitungen, auf 1 Mi- krotesla gesenkt werden müsse, entsprechend der
schweizerischen Gesetzgebung.
Und das wohl Grossartigste an diesem Entscheid ist, dass das Elektrizitätswerk das elektromagneti- sche Feld von mehreren Hochspannungsleitungen, welche durch zwei wichtige Distrikte der Stadt führen, wird reduzieren müssen. Es gibt also keine Besitzstandgarantie wie in der Schweiz, welche es den Werken erlaubt, Leitungen, die vor dem Fe- bruar 2000 errichtet worden sind, weiterhin mit bis zu 100Mikrotesla zu betreiben (Seite 20 des Urteils). Als FAZIT daraus wird wohl nichts anderes als eine strahlungsarme Erdverlegung mit bewähr- ten Abschirmmassnahmen übrigbleiben.
Das Gerichtsurteil wurde von den zwei Bürgerin- itiativen „City Boaçava“ und „Alto dos Pinneiros“ erstritten, welche die Rechte ihrer Quartiere er- folgreich verteidigt haben. Die Bewohner einer elektromagnetischen Belastung auszusetzen, sei mit der menschlichen Gesundheit nicht vereinbar.
Das Urteil mache das Vorsorgeprinzip wirksam, welches in der Deklaration von Rio 1992 zu Um- welt und Entwicklung ECO 92 enthalten sei und vorsehe, die Bevölkerung vor Schaden zu bewah- ren und die Umwelt zu schützen, heisst es weiter in der Meldung; und das Gericht habe zahlreiche ausländische Rechtsprechungen und die Exper- tenaussagen der Professoren Elsa Antonia Preira Cunna und Fernando Boiteux der Universität Sao Paulo zu Rate gezogen. Das Hauptargument sei
vom beisitzenden Richter Re- nato Nalini geliefert worden, der bereits mehrere Werke zum Umweltschutz publiziert habe.
Das Urteil könnte zu einem wegweisenden Fall für eines der grössten Länder der Welt werden, falls es zu einem Prozess vor der obersten brasilianischen Justiz kommt. Hoffentlich klappt es!
1) IARC MONOGRAPHS ON THE EVA- LUATION OF CARCINOGENIC RISKS TO HUMANS; Volume 80 (Lyon 2001) 430 Seiten Englisch
 Ein Blick auf Sao Paulo, den grössten Ballungsraum Lateinamerikas


















































































   4   5   6   7   8