Page 6 - 85. Rundbrief
P. 6

Gigaherz.ch 85. Rundbrief - 3. Quartal 2013 Seite 6
 Harmlos wie Kaffee?
Leserbrief zum Zeit- Artikel – Wissen
„Der unsichtbare Feind“ (Nr. 35, 22.8.2013, S. 27 – 29) 28.08.2013
von Peter Hensinger, Ressort Redaktion und Wissenschaft Vorstand Diagnose-Funk Deutschland, publiziert bei Gigaherz, 29.8.2013
Der ZEIT-Artikel ist enttäuschend, weil der nicht den Stand der Forschung wiedergibt, sondern so selektiv vorgeht und bewertet, wie es die deut- schen Behörden unter dem Einfluss der Mobilfunk- industrie und ihrer Lobbyisten tun. Die ZEIT führt für ihre Beurteilungen der Risiken des Mobilfunks einen Kronzeugen an, der vor Gericht wegen Be- fangenheit nicht zugelassen würde: Prof. Alexander Lerchl. Die WHO hat ihn als Gutachter abgelehnt. Die ZEIT holt ihn wieder ins Boot: „Wenn Forscher wieder einmal behaupten, Handystrahlung verur- sache Krebs, geht Lerchl auf die Barrikaden. Meh- rere Publikationen anderer Wissenschaftler muss- ten korrigiert oder zurückgezogen werden, weil er ihnen Schlamperei nachweisen
sen. Die ZEIT zitiert abwertend einen Satz aus einer Stellungnahme des Robert-Koch-Institutes (RKI) von 2008, die Schädigung durch oxidativen Stress sei „nicht mehr als eine „Arbeits- hypothese“. Doch: Mit der ausführlichen Stellung- nahme des RKI wurde dieser Schädigungsmecha- nismus offiziell auf die Agenda gesetzt, um diese Arbeitshypothese zu bestätigen oder zu verwerfen. Sie wird inzwischen gerade in der Mobilfunkfor- schung durch viele Studien bestätigt, bis hin zu ei- nem Wirkmechanismus. Über diese Fortschritt sind die Autoren detailliert informiert. Warum enthal- ten sie dem Leser neue Erkenntnisse vor?
konnte.“ Entspricht dies den Tat-
sachen? Tatsächlich versucht
Lerchl seit Jahren, die REFLEX- Studien-Ergebnisse, die die Gen-
toxizität von GSM und UMTS im
Labor nachgewiesen haben, als
gefälscht anzugreifen. Doch seine
Einwände wurden von den Fach-
zeitungen und der Österreichi-
schen Kommission für Wissen-
schaftliche Integrität zurückgewiesen. Die von ihm angegriffenen Studienergebnisse wurden inzwi- schen mehrfach von anderen Forschergruppen be- stätigt. In einem aktuellen Studienüberblick unter dem Titel „Kontroverse Schlussfolgerungen je nach Finanzierer der Mobilfunkforschung“ legte Prof.em. Frentzel-Beyme (Uni Bremen) im Juni 2013 eine Analyse zum neuesten Stand der For- schung zum Hirntumorrisiko vor (ECOLOG-Institut, EMF-Monitor, 3/2013). Die Erkenntnisse, der Re- daktion vorliegend, die mit neuem Datenmaterial aus Schweden und Israel gewonnen wurden und ein 2 bis 5-faches Gehirntumorrisiko für eine Hirn- tumorart nachweisen, lässt man unberücksichtigt.
Als „Mumpitz“ ( Prof. Lerchl) werden Ergebnisse zur Spermienschädigung und zu oxidativem Stress abgetan. Es liegen inzwischen mehr als fünfzig For- schungen vor, die nachweisen, dass die nichtioni- sierende Strahlung oxidativen Stress auslöst, und weit mehr als zwanzig, die Spermienschädigungen nachweisen. Erkenntnisse, die beunruhigen müs-
Wie die ZEIT dann bei der Verharmlosung des WHO -Beschlusses „möglicherweise krebserregend“ eine internatio- nale Sprachregelung der Mobil- funkindustrie einstreut, ist mani- pulativ: „Auf der Liste 2B »möglicherweise krebserregend« stehen 274 Substanzen, darunter Blei, Schiffsdiesel und Chloro- form, aber auch Kaffee.“ Warum nicht – „auch DDT“? Sondern ge- zielt Kaffee! Nach dem „Kaffee“ – Argument wird wohl jeder Leser erleichtert aufat- men. Der Ratschlag, so in der Risikokommunikation vorzugehen, stammt vom Risikokommunikator Prof. Wiedemann, nachzulesen auf seiner Homepa- ge www.wiedemannonline.com, auch ein ZEIT- Zeuge, wohl wissend, dass es um Kaffeesäure geht, die bei ausschliesslichem (!) Kaffeekonsum bei
Ratten zu Blasenkrebs führen kann.
Dass es organisierten Lobbyismus und korrumpier- te Wissenschaft gibt, ist erstaunlicherweise kein Thema im ZEIT-Artikel, obwohl drei Wochen vorher in der ZEIT-Titelgeschichte „Die gekaufte Wissen- schaft“ eben dies analysiert wurde: „Unterneh- men bestellen Studien, engagieren Professoren und finanzieren ganze Institute, die in ihrem Sinne forschen. An den Universitäten ist die Wirtschaft zu einer verborgenen Macht herangewach- sen.“ (1.8.2013). Drei Wochen später ist die ZEIT- Titelgeschichte von dieser Spezies Professoren in- spiriert.
Wie der WHO-Beschluss verharmlost wird,
ist manipulativ.












































































   4   5   6   7   8